Reproduktion bei weissellosen Völkern

  • Hallo,


    ich möchte hier mal ein allgemeines Sammelthema eröffnen, in der jeder seine Erfahrungen posten kann. Es geht darum, ob und wie die Völker bestimmter Ameisenarten in der Lage sind, auch ohne begattetes Weibchen wieder zu einem solchen zu gelangen (ohne klassische Adoption oder dergleichen). Von einigen Arten weiß man, dass sich die Arbeiterinnen mit Männchen paaren und dann in der Lage sind, wieder weiblichen Nachwuchs zu produzieren, und ganz wenige Arten sind auch zur Parthenogenese (Jungfernzeugung) in der Lage.
    Bei vielen Arten (bei solchen, bei denen die Ovarien noch funktionstüchtig sind) fangen die Arbeiterinnen eines Volkes nach dem Tod der Königin an, Eier zu legen (manchmal auch während Lebzeiten der Königin). Da diese nicht befruchtet sind, schlüpfen nur Männchen, und das Volk stirbt nach und nach aus, da keine Arbeiterinnen mehr nachgezogen werden. Bei manchen Arten scheint es aber auch vorzukommen, dass die Männchen eine Arbeiterin begatten, und diese dann in der Lage ist, befruchtete Eier zu legen. Derartiges Verhalten kann auch Grundlage für eine Art Nachzucht in der Haltung sein.


    Da sicherlich einige von Euch schon königinnenlose Kolonien über einen längeren Zeitraum gehalten haben, möchte ich die Informationen dazu hier sammeln und evtl. auswerten. Ich konnte bereits zwei interessante Beobachtungen machen:


    1. Pseudomyrmex gracilis:
    Ich erhielt letztes Jahr von Motte eine königinnenlose Kolonie, die aus Texas stammte. Sie zogen wie erwartet nur Männchen auf, die auch hin und wieder ausschwärmten. Interesse der Männchen an den Arbeiterinnen konnte ich nie beobachten. Nach einiger Zeit gab es aber plötzlich sehr wenige Arbeiterinnen und vor allem sehr viele Königinnenpuppen, obwohl eigentlich kein begattetes Tier in der Kolonie war. Es wurden leider fast nur Geschlechtstiere beiderlei Geschlechts herangezogen, so dass sich die Kolonie nie wirklich entwickeln konnte. (Paarungsversuche zwischen Jungkönigin und Männchen gab es nie). Ich habe die Kolonie immer noch, mittlerweile wird jedoch nur noch die Brut gefressen und nichts mehr herangezogen.
    Entweder hatte sich tatsächlich ein Männchen mit einer Arbeiterin verpaart, oder es gibt Parthenogenese bei Pseudomyrmex gracilis. Auf jeden Fall interessant.


    2. Harpegnathos venator: Ich habe eine weissellose Kolonie von tuffi geschenkt bekommen vor ein paar Monaten. Sie zogen beständig viele Männchen heran. Diese schwärmten auch öfters aus, verpaarungen konnte ich aber nie beobachten. Gestern ist mir dann aufgefallen, dass ich eine beflügelte Jungkönigin im Nest sitzen habe, und eine weitere Königin, die bereits ihre Flügel abgeworfen hatte. Ob da eine Paarung geklappt hat und demnächst Arbeiterinnen aufgezogen werden, muss ich abwarten.


    3. Diacamma sp.: Ich habe zwar schon weissellose Kolonien gehalten, aber nie wurden Arbeiterinnen aufgezogen in einer gamergatelosen Kolonie. Immer nur Männchen bis zum Ende der Kolonie.



    Habt ihr bei anderen/gleichen Arten ähnliche Erfahrungen gemacht?


    Grüße, Phil

  • Hallo Phil,


    möchte hier über meine nachtaktive Camponotus Art aus Südamerika berichten.


    Vor etwa 4 Monaten holt ich diese Kolonie aus dem alten Apicalis Becken um Sie zu verkaufen.
    Dabei sind einige entwischt und haben sich im Cataglyphis oasium Becken (Wüstenbecken) in eine Bambusröhre eingenistet ohne Königin !!!.Mit der Zeit wurden es immer mehr, so dass ich Sie in eine separate Plastikbox umsiedelte wo Sie nun seit ca. 2 Monaten leben. Es gibt keine Königin jedoch werden Arbeiterinnen groß gezogen und mittlerweile ist auch eine Jungkönigin geschlüpft.


    lg


    rog

  • So, die Kolonie ist nun groß genug um sie zuteilen Phil. Du hast da eine gute Idee gehabt, die ich nun mal umsetzen werde.


    Bin gespannt wie es dann weiter geht mit den beiden.


    In der zwischenzeit sind nur Arbeiterinnen geschlüpft, die Jungkönigin die bei Ihnen groß geworden ist gibt es leider nicht mehr.
    Aus der Box in der sie zurzeit leben können sie nicht raus, so das es keinen Kontakt zur Aussenwelt gibt wo vielleicht noch eine Gyne sein könnte. Kenne die Biester ja zugenüge, die brechen gerne aus.


    lg


    rog

  • Sehr schön, Roger. Ich bin auch gespannt, ob das bei Dir nochmal klappt. Bei meinen Harpegnathos venator ist übrigens eine weitere Jungkönigin geschlüpft, seit dem auftauchen der ersten gab es kein einziges Männchen mehr. Zwar gibt es auch keine Arbeiterinnen, aber im Prinzip ist das egal, da sicherlich auch die unbegatteten Königinnen als Arbeiterinnen fungieren. Die Kolonie hat ansonsten sehr viele Puppen und sonstige Brut, ihr geht es also relativ gut.


    Grüße, Phil

  • Noch ein kurzes Update zu dem Harpegnathos venator. Es hat eindeutig mit mindestens einer Begattung geklappt, es wurden überhaupt keine Männchen mehr aufgezogen, sondern nur Jungköniginnen, und davon nicht gerade wenig.
    Ich habe keine Ahnung, warum nur Königinnen herangezogen werden, aber im Prinzip ist das egal für die Kolonie. Die Königinnen werfen nach ein paar Tagen im Nest die Flügel ab, ohne je zuvor auch nur ansatzweise das Nest verlassen zu haben. Sie verhalten sich wie normale Arbeiterinnen, und manchmal gehen sie auch wie diese auf Jagd. Es starben immer mal wieder Tiere, ich habe im Nest noch geschätzte 9 "normale" Arbeiterinnen und vielleicht 5-6 entflügelte Königinnen.


    Die Haltung von den Harpegnathos venator gestaltet sich übrigens sehr einfach. Da ich immer wieder danach gefragt werde, schreibe ich hier jetzt mal kurz eine Haltungsbeschreibung hin. Für einen Haltungsbericht ist das zu wenig, daher mache ich das hier etwas unpassenden in den Thread rein.
    Ich habe die Kolonie in einem Ytongnest in einem 30x20er Spinnenwürfel, das Ytongnest liegt an der hinteren Scheibe an, als Bodensubstrat habe ich ein Erde- und Lavasplitt Gemisch. Die Tiere haben noch nie Anstalten gemacht, sich außerhalb des Nestes irgendwo einzugraben. Die Temperatur hält sich auf leicht überdurchschnittlichen Zimmertemperatur Niveau von etwa 23°C. Früher war das Becken auch mal bewachsen, aber die scheiß Heimchen haben die Pflanzen immer zerfressen, so dass jetzt eig. fast nix mehr wächst.
    Das Becken wird einfach so mit der Gießkanne bewässert, der Ytong nimmt ja den Feuchtigkeitsgehalt der umgebenden Erde an. Ich habe es immer recht feucht, es leben viele Springschwänze auch im Nest. Probleme mit Milben hatte ich noch nie.
    Gefüttert wird jetzt im Winter nur mit Heimchen, Zuckerwasser oder Honig biete ich schon seit langer Zeit nicht mehr an. Es ist so leicht wie bei keiner anderen Ameisenart herauszufinden, wie viel die Tiere zu fressen brauchen: Sind sie satt, wird der Nesteingang komplett verriegelt. So einfach ist das.
    So im Durchschnitt wird alle 2 bis 3 Tage ein Heimchen verfüttert, die Tiere sind sehr sehr effektive Jäger. Auch wenn nur eine Arbeiterin in dem Terrarium unterwegs ist, hat sie nach spätestens 5 Minuten das Heimchen ohne Probleme erjagd. Es wird kurz anvisiert (dabei wackelt die Arbeiterin hundeähnlich mit der Gaster) , dann angesprungen und mit den Mandibeln gepackt, alle Beine werden abgespreizt und ein Stich wird angesetzt. Nach ein paar Sekunden ist das Heimchen komplett bewegungsunfähig und wird zügig ins Nest geschleppt.


    Einzige Problematik ist das Auslassen der Fütterung, das vertragen die ähnlich wie z.B. Diacamma gar nicht. Schon nach einer Woche wird die Brut verspeißt.


    Grüße, Phil

  • Hallo Phil,


    soweit man das Verhalten von Harpegnathos saltator auf Harpegnathos venator übertragen kann, bin ich der Meinung, dass es nicht sehr ungewöhnlich ist, dass zu einem gewissen Zeitpunkt nur noch Jungköniginnen aufgezogen werden.
    So war es bei meiner Harpegnathos saltator Kolonie auch und es ging sogar so weit, dass die Kolonie weitestgehend zusammenbracht, weil fast keine Arbeiterinnen aufgezogen wurden. Ich würde also behaupten, dass es keine Anomalie bei der Vermehrung bei deinen Tieren ist.
    Auch bei mir schwärmten die Jungköniginnen übrigens nicht. Ich habe mal gelesen, dass zwar nicht viel über das Schwarmverhalten von Harpegnathos bekannt ist, aber mal Jungköniginnen während der Monsunzeit in Indien gefunden wurden. Es ist sehr gut möglich, dass Harpegnathos nur bei sehr extremen klimatischen Bedingungen, wie etwa während eines Monsuns schwärmen. Der Nestbau ist ja wahrscheinlich auch auf die Überschwemmungen während dieser Zeit ausgelegt.


    Die Beschreibungen zur Haltung decken sich übrigens mit denen von Harpegnathos saltator, ich vermute, dass sich die Arten nicht besonders stark unterscheiden.^^


    Ich will aber noch zum "Wackelverhalten" meinen Senf abgeben.
    Man ließt immer vom Wackeln der Gaster, Kalytta vergleicht dies immer mit Katzen, du vergleichst es hier mit Hunden. Nie wird aber beschrieben, dass die Ameisen mit dem ganzen Körper hin und her schaukeln. Was für einen Sinn dies genau hat, lässt sich schwer sagen und wäre hier auch glaube ich zu viel Offtopic. ;)

  • Hey zusammen,


    ich wurde von Phil auf diesen Thread hingewiesen und möchte mich nun auch hier verewigen ;)


    Anfang-Mitte März bekam ich eine Kolonie der Art Harpegnathos venator mit (1Gyne) + ca. 35 Arbeiterinnen.
    Die Königin war anhand der Flügelmuskulatur gut zu erkennen und sie verhielt sich ganz normal.


    Es waren auch 2 Larven vorhanden,welche mitgeliefert wurden.
    Nach einer Woche ging es dann mit der Eiablage los und so sammelten sich innerhalb knapp 2 Wochen gut 60 Eier im Nest.
    Dies fand ich schon gewaltig,da ich mit sovielen nicht gerechnet habe.
    Die Brut entwickelte sich und irgendwann schlüpfte dann ein Männchen aus der mitgelieferten Brut.
    Ob es sich dabei um gepushte oder eigene Brut handelte,kann ich nicht sagen.
    Das Männchen verweilte ein paar Tage im Nest und verschwand dann ohne Anzeichen.


    Es ist davon auszugehen,dass das Männchen eine Arbeiterin im Nest begattet hat (gesehen habe ich es allerdings nicht)!
    Es verlief alles gut und es war davon auszugehen,dass bald neue Arbeiterinnen schlüpfen sollten.
    Jedoch war das nicht der Fall! Es schlüpfte eine Jungkönigin!
    Daraufhin bis jetzt noch 2 weitere und es sind noch gut 20 Puppen vorhanden.


    Wie Phil vermutet,könnte es sein,dass die begattete Arbeiterinnen befruchtete Eier gelegt hat,woraus sich die Jungköniginnen entwickelt haben.
    Den genauen Verlauf der Kolonie könnt ihr hier nochmal genau nachlesen: http://eusozial.de/viewtopic.php?f=50&t=3790
    Ich werde die Kolonie aufjedenfall weiter beobachten und schauen,was in der nächsten Zeit so passiert :)


    Liebe Grüße,
    Pierre

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