Polyergus, Serviformica und Raptiformica.
Ich will hier mal in lockerer Folge über meine bisherigen Erfahrungen und auch über meine jetzigen Erlebnisse mit den Ameisenarten der Serviformica, Raptiformica und Polyergus plaudern.
Alles, was ich hier schreibe, spiegelt meine Erfahrungen und mein Wissen aus praktischer Beobachtung wieder und ich erhebe dabei hier keinen Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit. Mich interessieren allein die zwischenartlichen Konflikte und das überartliche Zusammenleben dieser Ameisen in natürlich zusammengesetzten Kolonien und in künstlich zusammengesetzten Kolonien. Aber auch das ist ein viel zu weites Feld, so dass ich hier nicht auf alle möglichen Konflikte und Interaktionen eingehen kann. Zum einen, weil ich sie noch nicht verstehe, zum anderen, weil das viel zu weit führen würde.
Ein Rätsel und bekanntes Phänomen ist zum Beispiel der Umstand, dass die Sklavenameisen in Kolonien der Herrenameise von Polyergus oder Raptiformica (im Folgenden nenne ich diese beiden Arten der Einfachheit halber Raubameisen) Fraktionen bilden. Wobei es hier selten um friedlich im Nest nebeneinander her lebende Fraktionen unterschiedlicher Arten der Serviformica (Sklavenameisen) geht. Im Gegenteil. Meist setzt sich die stärkste und älteste Fraktion der Sklavenameisen im Nest in der Weise durch, dass folgende Sklavenameisen aus einem anderen Nest, einer anderen Serviformica-Art nach dem Schlupf gemobbt und schließlich getötet werden. Wie sieht das in der Praxis aus?
Es kann durchaus vorkommen, dass eine Raubameisenschar über Jahre im Steppengebiet Kolonien der cunicularia oder rufibarbis ausbeutet, dann aus irgendeinen Grund ein Nestumzug an einen nahen Waldrand unternommen wurde und hier nun andere Serviformica-Arten erreichbar werden. Nun werden vielleicht fusca-Puppen erbeutet und in das Nest getragen. Die dort lebenden Sklavenameisen behandeln jedoch die bald schlüpfenden fusca im Nest aber stiefmütterlich, mobben und töten sie sogar, verstoßen sie aus dem Nest. Schlüpfen jedoch gleichzeitig sehr viele junge Arbeiterinnen der neuen Sklavenart, kann das jedoch zu einen lawinenartigen Überrollungseffekt führen und die neue Sklavenart behauptet sich und setzt sich schließlich durch.
Welchen Sinn haben diese "Eifersüchteleien" und dieser Kollegenmord? Alle Sklavenameisen in Nestern der Raubameisen haben keine Chance, sich fortzupflanzen und eigene Geschlechtstiere aufzuziehen, sie haben natürlich keine eigene Königin. Sie könnten also kooperieren, es würde ihnen keine weiteren Nachteile einbringen, Kooperation wäre zudem sehr leicht, denn alle Serviformica sind nah verwandt und können gut miteinander in künstlich zusammengesetzten Nestern kommunizieren.
Handelt es sich überhaupt um eine Art der Konkurrenz im Nest der Herrenameisen unter den Sklavenameisen, die zu diesen Ergebnissen führt? Oder erkennen die älteren Arbeiterinnen lediglich, dass es sich eben bei den neu schlüpfenden Arbeiterinnen um Ameisen einer anderen Art handelt und beseitigen sie, um die Kolonie "rein" zu halten?
Dafür spricht, dass es meist auch die zuerst schlüpfenden Arbeiterinnen der ersten Generationen der Herrenameisen schwer haben. Auch diese werden anfangs mitunter gemobbt und sogar getötet nach dem Schlupf, wenn die Ammen, die Hilfsameisen erkennen, dass die neu Schlüpfenden einer anderen Art angehören. Das habe ich in der Haltung sowohl bei den Duloten, den Raubameisen oft beobachtet, ebenso aber auch bei den temporär sozialparastischen Ameisenarten, den Waldameisen oder bei Dendrolasius fuliginosus und bei anderen Artenpaaren.
Diese Arten unternehmen keine Raubzüge, um im Verlauf der Kolonieentwicklung die eigene Kolonie mit weiteren Hilfsameisen zu verstärken, ihre Königinnen dringen in Nester der entsprechenden Hilfsameisen ein und lassen sich dort, mit etwas Glück, adoptieren. Die anwesenden Arbeiterinnen der Hilfsameisen ziehen nun die ersten Generationen der Sozialparasiten auf, deren Arbeiterinnen dann später das gesamte Koloniegeschäft übernehmen, die Hilfsameisen der parastierten Arten werden so bald überflüssig.
Aber der Vorgang der Adoption bzw. der Kolonieübernahme durch die Königinnen der sozialparasitischen Ameisenarten ist mit vielen Gefährdungen gepflastert. Nur die wenigsten überleben diesen Versuch. Die allermeisten werden erfolgreich von den Arbeiterinnen der Hilfsameisenkolonien abgewehrt und getötet bei diesem Versuch. Das kann auch nicht anders sein, hätten die Königinnen der sozialparasitischen Ameisenarten größere Chancen, würden die Hilfsameisen ausgerottet. Natürlich gibt es sicher einen evolutionären Wettlauf zwischen den Sozialparasiten und den Hilfsameisenarten, jedoch werden sich die Chancen in einem funktionierenden System immer wieder so verteilen, dass die Arten nebeneinander bestehen können. Alles andere wäre der Untergang beider Artengruppen.
Selten fand ich Raptiformica-Kolonien im Freiland mit mehreren Arten von Sklavenameisen. In Brandenburg fand ich manchmal Kolonien mit Sklavinnen der Arten Serviformica fusca und cinerea. Auf den sandigen, breiten Wegen, die die Kiefernwäldern durchziehen, lebten dort viele cinerea, weiter im Inneren des Waldes lebten viele fusca. Raptiformica-Kolonien hatten hier die Möglichkeit, beide Arten auszubeuten. Ich vermute, dass das nur dann möglich ist, wenn die Raubameisen wirklich viele Puppen einer neuen Sklavenameise eintragen können und so ein Überrollungs- oder Überrumplungseffekt eintritt. Schlüpfen nun gleichzeitig sehr viele junge Ameisen der neuen Art, verteilt sich das Mobbing und die Aggression der Sklavenameisen, der Ammen auf viele junge, schlüpfende Arbeiterinnen und es können nun viele und im Verlauf des Sommers, nach weiteren Raubzügen der Raubameisen im Nest überleben.
Ganz ähnlich verhält es sich m. E. meist mit den Herrenameisen der ersten Generationen in neuen, übernommenen Kolonien. Es ist hilfreich, wenn gleichzeitig viele Arbeiterinnen der Herrenameisen aufgezogen werden und mit den ersten Generationen so viele Arbeiterinnen gleichzeitig schlüpfen. Schlüpfen nur einzelne oder schlüpfen vereinzelte früher, kann es denen passieren, dass sie gemobbt und getötet werden, dass sie als Kolonieangehörige, als artfremde Ameisen nicht akzeptiert werden. Es scheint dabei das Zahlenverhältnis eine Rolle zu spielen, in kleinen Kolonien, wie sie in der Haltung oft auftauchen, mit einer Raptiformica-Königin und wenigen Sklaven, vllt. auch mit bereits einigen zugesetzten Raptiformica-Arbeiterinnen muss dieser Effekt nicht auftreten. Gibt es jedoch viele hundert Hilfsameisen einer Art und eine Königin der Raub- oder Herrenameisen, kann und wird es für die ersten schlüpfenden Arbeiterinnen der sozialparasitischen Ameisen zu Problemen kommen. Aber, eine solche individuenstarke Kolonie zieht natürlich zeitgleich auch hunderte von Raubameisen auf, so verteilt sich die Aggression auf viele schlüpfende junge Ameisen und nur die ersten, früh schlüpfenden haben vielleicht Probleme.
Wie sich diese Verhältnisse bei freilebenden Kolonien darstellen, lässt sich nicht klar sagen. Ich habe aber oft beobachtet, wie alte, dahinsterbende sanguinea-Kolonien oder cinerea-Kolonien plötzlich wie Phönix aus der Asche aufstiegen, wie im Sommer urplötzlich hunderte von noch kleinen pratensis-Arbeiterinnen, Erstlingstiere der ersten Generation, das Nest übernahmen und umbauten. Pratensis hatte die Kolonie übernommen, einer Jungkönigin war die Aufnahme durch die vermutlich weisellose Kolonie im Frühjahr gelungen.
Einblicke sind in der Haltung gut möglich. Und manchmal ist es zum Verzweifeln. Wie oft habe ich als Junge versucht, einer Raptiformica-Kolonie die besonders schönen und stattlichen Waldameisen der pratensis oder der truncorum zuzusetzen resp. unterzujubeln. Puppen wurden immer gern genommen, gierig eingesammelt, wie es typisch ist für diese Raubameise. Jedoch wurden die schlüpfenden Waldameisen dann von den Raptiformica und den im Nest bereits lebenden Serviformica getötet. Ähnliches beobachtete ich in der Haltung an Polyergus, denen ich, aus Neugier und um zu sehen, wie man sich versteht, Brut von Raptiformica zugab. Hier waren es sogar fast immer ausschließlich die Polyergus, die die jungen Raptiformica töteten. Manchmal wie zum Sport, fast gelangweilt und ohne sichtbare "Wut" töteten oder verletzten die Polyergus wie nebenbei die bereits im Nest sitzenden, jungen Raptiformica durch einen gelangweilten Biss mit den säbelartigen Kiefern in die Gaster, den Thorax oder den Kopf. Es schien so, als ob die Amazonen die Konkurrenten nicht dulden wollten und sie einfach töteten. Dabei waren die Raptiformica natürlich keine Konkurrenten. Ohne eigene Königin, integriert in der Kolonie der Amazonen waren sie lediglich etwas grössere, kräftigere Hilfsameisen. Jedoch irgendetwas schien den Amazonen zu sagen, dass hier etwas nicht stimmt.
Das Problem, dass die Raptiformica die Waldameisen nicht im Nest duldeten, löste ich damals auf die Weise, indem ich fortan gleichalte, junge und unausgefärbte Ameisen verschiedener Arten zusammen setzte. Das funktionierte, denn jungen Ameisen sind nicht aggressiv und schließen sich gern zusammen. So kann man Kolonie basteln, die aus vielen Formica-Arten zusammengesetzt sind. Es gelang mir als Lausbub sogar einmal, Lasius und Formica in einer kleinen, freilich nicht funktionierenden Kolonie eine Zeit lang zusammenzuhalten. Immerhin gab es gegenseitiges Putzen und Trophallaxis zwischen diesen Ameisen.
Natürlich bringt das alles nichts für die betreffenden Ameisen. Beobachtet man eine solche Kolonie jedoch eine Zeit lang, sieht man, welche Arten sich dann überwiegend den Arbeiten im und außerhalb des Nestes zuwenden und welche Arten in einer solcherart zusammengesetzten Kolonien eher wenig aktiv sind. Das ist interessant und ebenso ist es interessant, wie und ob die verschiedenen, dabei jedoch verwandten Ameisenarten miteinander kommunizieren und kooperieren können.
Im Moment bin ich dabei, meiner Polyergus-Königin eine Schar von Raptiformica zur Seite zu stellen. Auch hier ging es leider nur so, dass ich die von Carl-Ullrich zugesetzten cunicularia zum großen Teil entnehmen musste, sie duldeten die schlüpfenden Raptiformica nicht und töteten diese. Nun sind bereits viele Raptiformia geschlüpft und ich kann weitere Serviformica und Raptiformica hinzugesellen. Spannend wird sein, ob die Raptiformica die Polyergus-Arbeiterinnen nicht nur aufziehen, sondern dann auch akzeptieren. Ich fürchte, das wird eine schwierige Schwelle im Leben der Kolonie und vllt. muss ich dann wieder eingreifen.
Trotzdem, es könnte interessant sein, wie sich diese beiden Raubameisen gemeinsam in einem Nest verhalten. Ob und wie sie vllt. sogar später, im kommenden Jahr, gemeinsam Raubzüge unternehmen. Wir wissen ja, dass die Raptiformica völlig anders, aber nicht weniger zweckmäßig organisiert sind. Werden sie sich also den Polyergus anschließen wollen und können?
Soweit erstmal, Bilder folgen demnächst.
LG, Frank.