Liometopum microcephalum
Diese Ameise begegnete mir zum erstem Male in den frühen Neunzigern in Ungarn an der Donau. Ich war sofort fasziniert und verzaubert, derart volkreiche und dominante Ameisenkolonien, dabei sichtbar an der Oberfläche agierend und sehr geschlossen und massiv auftretend, sind selten in Europa. Ich kenne hier eigentlich nur eine Art, deren Verhalten und deren Wehrhaftigkeit mit der der hier genannten Liometopum vergleichbar ist und dem zumindest nahe kommt. Das ist Lasius fuliginosus. Und doch scheinen die Kolonien der Liometopum oft noch viel größer zu sein. Im Vergleich, und ich hatte in Ungarn die Gelegenheit, beide Arten direkt zu vergleichen, laufen bei den Liometopum sehr viel mehr Arbeiterinnen auf den Straßen der Kolonie. Hier in Ungarn kommen beide Arten nebeneinander vor, manchmal auf benachbarten Bäumen oder Baumgruppen. Dabei sind die Bäume, besonders die Stämme über und über voller Ameisen. Auseinandersetzungen sah ich nie zwischen beiden Arten, es ist aber anzunehmen, dass fuliginosus im Vergleich die konkurrenzstärkere Art ist. Fulginosus war hier häufiger und manche Liometopum-Kolonien schienen unter solcher Nachbarschaft zu leiden, waren dann kleiner und schwächer als gewöhnlich. Möglicherweise sind die Formicinen den Dolichoderinen waffentechnisch überlegen, das Dendrolasin ist der Hauptgrund für die Stärke und Dominanz der fuliginosus in allen ihren Verbreitungsgebieten. Auch die Liometopum verfügen über starke chemische Kampfmittel, wenn man das so sagen kann. Es riecht einigermaßen stechend nach Harzen, fast nach Terpentin, wenn die Tiere zubeißen. Mit ihren ungeheuren Mengen an Arbeiterinnen und deren entschlossenen Einsatz sind die Liometopum die dominante Ameisenart in den Biotopen, in denen sie lebt, neben Lasius fuliginosus. Vielleicht hängt der Rückgang der Liometopum in vielen Gebieten mit dem verstärkten Auftreten von fuliginosus zusammen, beide Arten konkurrieren um die gleichen Ressourcen und Nischen. Es wäre interessant, zu wissen, ob die fuliginosus-Populationen im südöstlichen Mitteleuropa in den letzten Jahren zugenommen haben...
Liometopum microcephalum ist eine baumbewohnende Ameise, die nach meinen bisherigen Beobachtungen ausschließlich im Totholz noch lebender Bäume nistet. Ich fand sie bisher nur auf und in Laubbäumen, meist Eichen, aber auch an Weiden, Pappeln, Kastanien und weiteren Laubbaumarten. Die Kolonien sind fast immer riesig und beschränken ihr Kolonieterritorium dann nicht nur auf den Nistbaum, sondern auch auf weit entfernt stehende Bäume. In Ungarn fanden wir stark belaufene Straßen der Ameisen, die vom Nistbaum manchmal über fünfzig Meter in armdicken Kolonnen zum nächsten ergiebigen Futterbaum führten. An den Bäumen werden Rindenläuse in großen Mengen gepflegt. Es ist anzunehmen, dass die Arten in enger Symbiose leben und die Pflanzensauger in den Kolonien überwintern.
Arbeiterinnen und Rindenläuse in einer Nische der Baumrinde.
Möglicherweise werden Rindenläuse und andere Pflanzensauger auch in den Nestern, am lebenden Holz angesetzt, das ist denkbar und für mich naheliegend. Blattlauskolonien werden ebenfalls besucht, sowohl auf Pflanzen wie Disteln im Umfeld der Nistbäume wie auch im Laub der Bäume. Diese Blattlauskolonien scheinen jedoch keine so zuverlässige und andauernde Nahrungsquelle zu sein und ob es hier so enge Beziehungen zwischen den Ameisen und den Pflanzensaugern gibt, bezweifle ich. Ausserdem scheint Liometopum stark regulierend auf die Ameisenfauna einzuwirken, im Umfeld der Nistbäume gab es kaum andere Ameisenkolonien. Wie von fuliginosus auch werden wohl die Kolonien anderer Arten geplündert, vielleicht sogar im stärkeren Ausmaß. (In der Haltung zeigen meine Liometopum sehr großes Interesse an Puppen oder Larven anderer Ameisenarten, sie werden sofort eingetragen, währende andere Futterinsekten wie frischtote Fliegen oder Mehlwürmer kaum genommen werden oder gar nach wütenden Angriffen verschmäht werden.)
Die Nester der Art sind eigentlich immer unerreichbar. Zumindest fand ich in mehr als fünfundzwanzig Jahren keine Kolonie, deren Nest ich wenigstens teilweise öffnen konnte. Das mag natürlich für Menschen, die in Gebieten leben, in denen die Ameise vorkommt, anders sein, jedoch fand ich weder in der Türkei, in Tschechien oder hier in Ungarn jemals in der kurzen Zeit, die mir als Besucher in den Ländern zum Beobachten verblieb, eine solche Kolonie. Ich will also nicht ausschließen, dass es solche Nester in morschem Holz gibt oder sogar in Bereichen des den Baum umgebenden Erdreichs. Ich jedoch fand bisher nur Nester in festem Totholz der Baumstämme, dazu waren die Nester oft in unerreichbarer Höhe in den Baumstämmen. Das Erdreich scheinen diese Ameisen zu meiden, nie sah ich, dass Arbeiterinnen in Erdeingängen oder Erdhöhlen verschwanden.
Es wäre aber ohnehin kein besonderes Vergnügen, ein solches Nest zu verletzen bzw. zu versuchen, es zu öffnen. Die Kolonien sind einfach ungeheuer volkreich, die Ameisen extrem aggressiv und unangenehm beißend. Sei's drum. Natürlich hätte ich in der Situation, in der ich mich jetzt befinde und auf die ich später hier eingehe, natürlich keinen Versuch unterlassen, eventuell an Brut und an junge Nestarbeiterinnen der Art zu kommen.
Warum ist diese Art so interessant? Es scheint so, als ob recht wenig über diese Art bekannt ist. Eigentlich verwunderlich, denn die Ameise ist eine auffallende und dominierende Art in den Lebensräumen, in denen sie vorkommt. Es gibt zwar wenige andere Ameisenarten, die Liometopum in die Schranken weisen, hier in Ungarn war am Balaton neben Liometopum in den Lebensräumen, die die Art bevorzugt, wie o.e. oft Lasius fuliginosus anzutreffen und es schien so, also ob Lasius fuliginosus tatsächlich die Art zu verdrängen verstand. Neben Lasius fuliginosus soll es die Diebsameise sein, die Liometopum zusetzt. Diebsameisen sah ich in Ungarn nicht, ich habe auch nicht nach ihnen gesucht (es gibt sie natürlich dort ganz sicher), und es scheint mir auch fraglich zu sein, wie die erdbewohnenden Diebsameisen, die hier ganz sicher Formica, Lasius und andere Ameisen parasitieren, ausgerechnet in etliche Meter hohe Bäume wandern sollten, um hier die volkreichen und agrrressiven Liometopum-Kolonien anzugreifen. Wer weiß, dass die Diebsameisen unterirdisch leben und aus winzigen Erdgängen in die Erdnester der parasitierten Wirtsnester eindringen, dem stellen sich ohnehin Frage, wie das im festem Holz in mehreren Metern Höhe möglich sein sollte. Hier dürften die Liometopum eindeutig im Vorteil sein. Zumal die Art stark polymorph ist und es neben größeren viele winzige, nicht minder aggressive Arbeiterinnen gibt. Ein wichtiger Vorteil der Diebsameisen, ihre Kleinheit, schwindet damit stark.
Der Fang.
Aber egal. Wir hatten uns bereits damit abgefunden, dass unser Aufenthalt in Ungarn ein insgesamt schöner sein sollte und dass es ansonsten so wie immer sein sollte. Einige Beobachtungen an diesen verhexten Liometopum, etwas Staunen, ein Ah hier, ein Oh dort, und und letztlich wiedermal ein weiteres Verschieben auf ein nächstes Jahr. Die Hoffnung war natürlich, wie auch bei den letzten Aufenthalten in der Türkei, mal eine Jungkönigin der Art zu erwischen. Wobei es alles andere als klar war, ob das überhaupt möglich ist. Es kursieren jede Menge unterschiedlicher Theorien zum Hochzeitsflug, zur Koloniegründung, so dass eigentlich schon das Finden einer Jungkönigin eine Überraschung ist. Natürlich weiß ich, dass es bereits Funde gab, aber was sagt das schon? Ausnahmen gibt es immer und ich war schon einige Male zur vermeintlichen Schwärmzeit vor Ort, ohne etwas zu finden. Bei der Größe und der wahrscheinlichen Produktivität der Kolonien und bei ihrer Häufigkeit mancherorts macht das nachdenklich.
An dieser Stelle einen Gruß an meinem Freund Boro und seinem Sohn Roman. Ich freue mich sehr, dass Ihr auch so ein Tier gefunden habt und ich hoffe sehr, dass die Koloniegründung klappt.
Mit Volker stand ich zuletzt vor meiner Reise nach Ungarn noch im Email-Austausch zu dieser Art. Es ist ein toller Erfolg, dass diese eigentlich seltene und wenig bekannte Ameise nun in den Händen verschiedener Halter und Freizeitforscher gründet.
Wir fanden unsere junge Königin am frühen Abend unseres letzten Tages. Jan sah sie, sie krabbelte über die Heckscheibe meines Autos, dass direkt neben unseren Bungalow stand. Jan sagte: "Guck mal, eine Ameisenkönigin..." Ich sprang auf, wie von der Tarantel gestochen, weil ich sofort erkannte, DAS konnte eine sein. ich hatte junge, jedoch geflügelte Königinnen der Art schon gesehen, vor vielen Jahren, abflugbereit an Nistbäumen an der Donau. Mit zittrigen Händen, nervös und voller Angst, das kleine Tier zu verletzen, umfing ich das kleine Tier auf der Heckscheibe mit den Händen und schrie Jan an, hole eine TicTac-Dose. Der arme Kerl erkannte, wie sensationell sein Fund war und rannte in den Bungalow. Fand dort aber nichts, wir hatten schon gepackt. Da fiel mir ein, ich hatte eine in der Hosentasche (hab ich immer..;), wenn ich auf Reisen bin), ich bat ihn, die heraus zu holen, wir konnten nun das Tier festsetzen.
Was für ein großes Glück!
An diesem Abend gab es noch ein paar gute ungarische Biere, es war ein Grund zum Feiern. Wir rätselten, was die Ameise wohl auf dem Auto zu suchen hatte. Schließlich kamen wir drauf, es war unbedingt eine Ameise mit ästhetischem Empfinden, denn es ist ein sehr schönes Auto. Endlich mal eine Ameise, die zu uns passt und unser Empfinden auch dahingehend teilt.
Wir hatten unsere Unterkunft bereits bezahlt und mussten am nächsten Tag abreisen. Trotzdem nutzten wir noch den Morgen des Abreisetages, um einer Kolonie einen Besuch abzustatten, die wir kannten und bei der wir wussten, dass wir ohne Probleme zulangen konnten. Hier fingen wir noch etwa eintausend Arbeiterinnen, die wir mit nach Hause nahmen.