Wenn ich mich richtig erinnere, waren Kolonien der Cataglyphis hispanicus ebenfalls polygyn.
Grundsätzlich wird es recht schwierig sein, bei der Polygynie dieser Arten einen evolutionsrelevanten Hintergrund nachzuweisen, Mathias. Es ist überhaupt eine Frage, ob Polygynie grundsätzlich einen Vorteil bietet. Sicher, wenn man das aus menschlicher Perspektive betrachtet, gibt es "Vorteile". Langlebige Kolonien, die u.U. immer neue Jungköniginnen adoptieren und damit faktisch unendlich lange leben können. Aber ob das in jedem Fall ein evolutionärer Vorteil ist, ist fraglich.
Schliesslich geht es i.a.R. dem reproduktiven Individuum, also der Ameisenkönigin sicher darum, ihre eigenen Gene zuerst weiterzugeben, dann vllt. erst in altruistischer Weise die ihrer Schwestern oder die anderer Weibchen der eigenen Art in der Kolonie. Wie es vor diesem Hintergrund überhaupt zur Polygynie kommt, müsste wohl noch geklärt werden. Schliesslich könnte man, wenn man die Dinge aus menschlicher Sicht durchdenkt, auch zu den Schluss gelangen, dass es sinnvoll ist, die Nachkommen, also die Jungköniginnen nach ihrer Begattung nicht zu adoptieren, sondern zu vertreiben und so das eigene gen. Erbe zu verteilen. So gesehen, ist strenge Monogynie genauso "vernünftig", aus menschlich-logischer Sicht.
Die Polygynie, die uU. entsteht, wenn Jungköniginnen adoptiert werden, die im adoptierenden Nest aufgewachsen sind, kommt wahrscheinlich eher selten vor, so dass dann also in der Kolonie verwandte Weibchen (Schwestern, Töchter, Mütter) sich gemeinsam reproduzieren (Das kommt bei Jungköniginnen der Wespe Polistes dominulus durchaus vor, hier finden oft Schwestern nach dem Winter am alten Neststandort zusammen.) Besonders rätselhaft ist dann jene, eigentlich wohl häufigere Polygynie, die entsteht, wenn Ameisen mancher Arten wie zB. Formica polyctena oder (manchmal) F. truncorum mit ihnen nicht verwandte Jungköniginnen der eigenen Art adoptieren. Warum werden fremde Weibchen in der Kolonie am Ende von den "alteingesessenen" Weibchen geduldet? Eigentlich sind doch diese fremden, Einlass begehrenden Weibchen Konkurrenten. Hier scheinen andere Mechanismen zu wirken, der genetische Egoismus, der ja seinen Sinn hat, scheint hier ausgeschalten zu sein. Im Ergebnis tritt er hier wohl zurück zugunsten der Fortpflanzung und Erhaltung der Art, nicht der Familie.
Polygynie gibt es ja nicht bei allen Arten. Man kann nicht einmal sagen, sie tritt ausschliesslich bei den "hochentwickelten" Arten wie eben manchen Cataglyphis auf. Es gibt sie ebenso bei Knotenameisen, bei Ponerinen und anderen Ameisen. Am Ende wird man keinen evolutionären Vorteil finden. Diese Eigenheit tritt bei manchen Arten auf im Zusammenspiel ihrer Lebensweise, ihres Nahrungserwerbs und besonders ihrer Fortpflanzung und Koloniegründung. Sie hat sich bei manchen Arten bewährt und wurde so zum festen Inventar dieser Arten, bei anderen Arten hat sich die Polygynie nicht entwickelt. Einige Art, überwiegend monogyn, scheinen uU. zu Polygynie fähig zu sein, es gibt Beobachtungen an Raptiformica und Camponotus ligniperda. Möglicherweise entwickelt sich hier die Polygynie oder aber die Arten sind so plastisch, dass sie unter gewissen Umständen zur Polygynie fähig sind. Welche Umstände das sind, das zu raten ist sehr spekulativ.
Es wird immer wieder überraschende Entdeckungen selbst bei den scheinbar völlig ausgeforschten einheimischen Arten geben. Es ist eben nicht so, wie es mancher glauben machen will, dass ein flotter Dreizeiler in der Art einer Gebrauchsanweisung und ein paar taxonomische Details eine Art vollständig beschreiben können. Wieviel mag da bei den Arten aus anderen Regionen noch im Dunklen liegen, wie zB. bei den Cataglyphis. Wir wissen recht viel über sie, dank der Arbeit grossartiger Forscher wie Prof. Wehner, und doch stellen wir immer wieder fest, dass wir gar nichts wissen.
Wir wissen vielleicht, dass sie sehen, aber wir werden nie wissen, wie sie sehen.
Ich wollte aber nicht Dein Thema zerreden, sry, Mathias

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Ein interessantes Thema bei den Cataglyphis speziell ist der Sozialparasit Cataglyphis hannae.
Das will ich mir mal genauer ansehen...
LG, Frank.