*Myrmoteras

Diskussion über alle Ameisenarten.

*Myrmoteras

Beitragvon Phil » Fr 28. Jan 2011, 19:52

Hallo,

ich möchte gerne über eine sehr interessante Ameisengattung berichten, Myrmoteras. Diese Gattung gehört zur Unterfamilie der Formicinae und weist einige Besonderheiten auf. Das Auffälligste sind die Schnappkiefer.
Von den Schnappkieferameisen hat sicher jeder Ameisenhalter schon mal gehört, meistens werden Arten der Gattung Odontomachus oder Anochetus als solche bezeichnet. Allerdings handelt es sich hierbei um Ponerinen. Die Schnappkiefer sind ein Erfolgsmodell der Ameisen und haben sich nicht nur einmal evolutionsbiologisch gesehen entwickelt, sondern mehrmals. Die Schnappkiefer finden sich auch bei einigen Myrmicinen die zum Tribus der Dacetinii gehören (z.B. Daceton, Strumigenys).
Myrmoteras ist die einzige Gattung der Formicinen, welche einen Schnappkiefer besitzen. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit. Die Ameisen besitzen sehr große Augen und daher ein sehr gutes Sehvermögen und sind anscheinend nur tagsüber aktiv. Außerdem ähnelt die Königin den Arbeiterinnen sehr, eine semiclaustrale Koloniegründung ist daher wahrscheinlich. Myrmoteras zählt man daher zu den urtümlichen Formicinen, die ihr Verbreitungsgebiet in Südostasien haben. Weitere urtümliche Formicinen mit ähnlichen Merkmalen sind Gesomyrmex (auch südostasiatisches Verbreitungsgiet, nahe mit Myrmoteras verwandt), die australischen Opisthopsis und in Südamerika die faszinierenden Gigantiops.

Die Gattung Myrmoteras unterteilt sich in zwei Untergattungen: Myrmoteras und Myagroteras.
Der Subg. Myrmoteras besteht aus 9 Arten, der Subg. Myagroteras aus 23 Arten (s. Revision von Agosti). Der bedeutenste Unterschied der beiden Untergattungen besteht darin, dass die Arten des Subg. Myrmoteras zwei lange, ausgebildete Trigger-Haare besitzt und Myagroteras nur zwei stark zurückgebildete. Die Trigger-Haare findet man auch bei anderen Ameisen mit Schnappkiefern - es sind lange Haare die nach vorne stehen und sich zwischen den Mandibeln befinden. Berührt etwas diese Haare, löst sich der Schnappmechanismus aus, die Kiefer knallen zusammen.
Hier erkennt man die Trigger-Haare:
Bild
Geographisch gesehen kommen die Arten des Subg. Myrmoteras eher im Norden vor (Nordthailand), die Myagroteras eher im Süden (nördlichster Verbreitungspunkt anscheinend Südindien). Natürlich gibt es stark überlappende Vorkommen. Auffällig ist die geographische Verbreitung aller Arten. Die meisten Arten sind endemisch für bestimmte Inselngruppen in Südostasien.

Die Ameisen besitzen eine Größe von nur 5 mm und sind daher recht klein. Auch die Kolonien sind es, sie umfassen nur wenige Individuen und eine Königin (monogyn). Wahrscheinlich sind alle Arten Unterholzbewohner. Die Nester werden nicht sonderlich ausgebaut und sind z.B. in alten, modernden Ästen und an ähnlichen Stellen zu finden . Die Arbeiterinnen gehen vereinzelt auf Nahrungssuche, wahrscheinlich ernähren sie sich hauptsächlich von Springschwänzen. Rekrutierung ist wahrscheinlich nicht vorhanden. Ob Duftstoffe bei Umzügen oder Ähnlichem verwendet werden, ist unklar.

Ich habe das Glück, an diese tollen Ameisen herangekommen zu sein, und sie halten zu dürfen. Es handelt sich um die am weitesten im Norden verbreitete Art Myrmoteras binghamii (Forel, 1893).
Die Ameisen sind sehr ruhig während sie auf Nahrungssuche gehen. Ihre Kiefer sind dabei fast immer gespreizt (und dabei, wie bei allen Myrmoteras, um etwa 280° geöffnet). Sie gehören zur Untergattung Myrmoteras und besitzen daher bei entsprechenden Licht erkennbare Triggerhaare. Wenn sie ruhig umherlaufen, erinnern sie mich ein wenig an die heimischen Aphaenogaster subterranea. Erweckt etwas ihre Aufmerksamkeit, betrachten sie es meist mit ihren wirklich großen Augen. Nicht selten wackeln sie dabei mit ihren Hinterleib, was ein wenig an Harpegnathos erinnert. Werden sie erschreckt, sind sie nicht mehr ruhig, sie rennen auf kurze Distanz in Sicherheit. Nach dieser kurzen Distanz des Rennens normalisiert sich ihr Vorgehen wieder.

Bild
Myrmoteras bei Erkundungstour

Ich habe sie erst seit gestern, kann also noch nicht sonderlich viel sagen. Aber die ersten Eindrücke sind sehr spannend. Vorhin lief eine Arbeiterin auf einer ebenen Fläche und ich konnte sie genauer inspizieren. Tatsächlich sind sie anscheinend manchmal recht mutig. Ich wollte sie durch Bewegen meines Fingers in bestimmte Richtungen lenken, was aber nicht geklappt hat. Sie betrachten den Finger mit Aufmerksamkeit, einmal hat sie ihn sogar in einem Halbkreis schnell umrundet, was mich sehr überrascht hat. Die Ameisen sind hochspezialisiert, wenn sie etwas sehen ähnelt ihr Verhalten etwas den Gigantiops, die auch oft Seitenschritte machen und dem vermeintlichen Etwas nicht sofort den Rücken zukehren.
Hier ein kleines, schlechtes Video. Die Arbeiterin läuft darin schneller als normal, weil ich sie etwas geärgert habe. Es gibt aber bald bessere Videos, aber das muss fürs Erste reichen:

Zur Ernährung kann leider noch nichts sagen. Bis jetzt haben sie kein Futter angenommen, weder Zuckerwasser noch eine kleine, zerdrückte Stechmücke. Wahrscheinlich benötigen sie Springschwänze oder aber sie brauchen erst dannFutter, wenn Larven vorhanden sind. Ich hoffe, es wird alles gut gehen.
Ich bin nicht der Erste, der diese interessanten Ameisen hält. Mark Moffett, der auch einen Großteil der Myrmoteras Arten beschrieben hat, hat auch schon zwei Völker gehalten. Die Beobachtungen, die er gemacht hat, sind (waren?) online verfügbar, unter dem Namen:
Moffett, M. 1986: Trap-Jaw Predation and other observations of two Species of Myrmoteras, Insect Sociaux, Volume 33, 85-89

Und seine Revision über Myrmoteras diente mir hier hauptsächlich als Quelle.
Moffett, M.: Revision of the genus Myrmoteras

Bilder werden folgen. Bis dahin sind die Bilder von Alex Wild natürlich sehr empfehlenswert, einsehbar hier: https://www.alexanderwild.com/Ants/Taxon ... 6599_vqK5d

Ich werde hier regelmäßig aktualisieren und berichten. Jeder ist hier in einer Diskussion willkommen, auch würde ich mich freuen, wenn evtl. weitere Halter berichten :)

Grüße, Phil
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Phil » Sa 29. Jan 2011, 14:48

    Hallo,

    eine wichtige Ergänzung. Wie Teleutotje mir berichtete, ist die revision von Moffett nicht die Neuste, sondern die von D. Agosti von 1992: Hier
    Im obigen Post wurden die Daten korrigiert, es gibt insgesamt 32 (!) Arten, die meisten davon nur von den Arbeiterinnen bekannt. Wahrscheinlich sogar noch mehr, die bisher unentdeckt wurden.
    Bei der Art besteht auf jeden Fall noch großes Nachforschungspotenzial, über die Biologie ist fast nichts bekannt.

    Grüße, Phil
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Frank Mattheis » Sa 29. Jan 2011, 18:37

    Leider ist ja zur Biologie der wenigsten dieser Arten wenig bis gar nichts bekannt, Phil. Es ist leider so, dass sich das meiste Wissen auf eine Art der "Katalogisierung" der Arten beschränkt. Insofern ist es interessant und wohl auch wichtig, sich mit solchen Arten eingehender zu beschäftigen.
    Viel Glück mit dieser sehr interessanten Art. ich hoffe auf weitere Informationen und Einblicke..;).

    LG, Frank.
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Phil » So 30. Jan 2011, 13:57

    Hallo Frank,

    nun, die Katalogisierung bei der enormen Artenvielfalt muss eben auch gemacht werden - ist schließlich auch eine vorraussetzung zur Erforschung der Biologie und Ökologie der Ameisen.
    Wie ich oben schon angemerkt hatte, hat Mark Moffett bereits erste Schritte zur Untersuchung dieser Ameisen getan, und schon Völker gehalten und auch Beobachtungen in der Natur zu ihrer Lebensweise getan. Was ich sehr löblich finde. Ich habe den Link nicht mehr gefunden, und Teleutotje hat ihn mir freundlicher Weise geschickt:
    Moffett: Trap jaw predition and other observations on two species of Myrmoteras
    Da lohnt es sich auch ohne Englischkenntnisse hineinzugucken, es sind tolle Bilder dabei und eine deutsche Zusammenfassung.

    Übrigens habe ich gestern und heute weitere interessante Beobachtungen gemacht: Die Ameisen besitzen ein soziales Trageverhalten, ich habe beobachtet wie eine Arbeiterin umhergetragen wurde, wie typisch an den Mandibeln.
    Außerdem habe ich zweimal schon eine Arbeiterin beim Erlegen eines Springschwanzes beobachten können. Wirklich außgezeichnete Jäger!

    Neue Bilder:
    Bild

    Das hier ist mein bestes Bild bisher:
    Bild


    Grüße, Phil
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Frank Mattheis » So 30. Jan 2011, 17:57

    Schöne Bilder, Phil.
    Und sicher muss die Katalogisierung auch gemacht werden, ich habe das nicht kritisiert, glaube ich. Nur eben darauf hingewiesen, dass sich das verfügbare Wissen meist oder wenigstens grösstenteils darauf beschränkt. Insofern ist es eben keine schlechte Sache, wenn solche Tiere bei interessierten und aufmerksamen Haltern landen und diese die Lebensweise eingehender untersuchen und beobachten... Vielleicht sogar beschreiben.

    LG, Frank.
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Phil » So 30. Jan 2011, 20:15

    Hallo Frank,

    hab das auch nicht wirklich als Kritik aufgefasst ;) Und ja, ich bin gewissermaßen stolz die Ameisen halten zu können und Beobachtungen zu machen, die vielleicht vor mir noch keiner gemacht hat? Bin sehr gespannt, was ide Haltung noch bringt.
    Aber die kritische Phase ist noch nicht vorrüber, Eier gibt es noch nicht, ich hoffe aber, dass das bald der Fall sein wird!

    Weitere erfreuliche Nachichten. Die Kolonie, die vorher in einem viel zu großen Reagenzglas gelebt hat, ist endlich umgezogen. Ich habe ihr zwei Nester angeboten, einmal ein Ytongnest und ein Holznest, in dem früher mal Temnothorax gelebt haben. Sie haben sich für das Holznest entschieden, was ich persönlich auch hübscher finde :)
    Bild
    Man achte auf die Königin - bis auf den Thorax scheint sie fast genauso wie die Arbeiterinnen auszusehen. Für mich ein fast eindeutiges Zeichen, dass die Art semiclaustral gründet.

    Und ich konnte heute erneut Arbeiterinnen beim umherlaufen beobachten, und bin wieder fasziniert. Das Sehvermögen ist wirklich schwer beeindrucken, sie nehmen meine Finger aus einer Entfernung von über 10 cm noch war und reagieren darauf (man muss in dem Zusammenhang ihre Größe beachten, die gerade mal an eine kleine Myrmica herankommt). Sie laufen rückwärts, wenn sie bedrängt werden. Wirklich Wahnsinn :)
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Phil » Di 1. Feb 2011, 22:12

    Hallo,

    gleich zwei erfreuliche Nachichten: Es gibt zwei Eier, außerdem konnte ich davon ein Video machen.
    Seht selbst, dank USB-Mikroskop ist eigentlich ganz gut gelungen:


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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon riverjack » Mi 2. Feb 2011, 09:13

    Hallo Phil,

    meine Herren, haben die Kneifer! Da wundert es einen fast, dass sie mit Eiern und Larven hantieren können,
    ohne diese zu verletzen.

    Schöne Bilder und Vids.

    LG, Heiko
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Joschi » Mi 2. Feb 2011, 18:46

    Absolut traumhaft, Phil! Was für tolle Tiere :) Die Beißer sind fantastisch, der Winkel geradezu surreal. Und die Videos fand ich sehr gut gelungen, sei mal nicht so bescheiden hehe. Freu mich auf mehr Berichte!!
    Joschi
     
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    Re: *Myrmoteras

    Beitragvon Phil » Mi 2. Feb 2011, 19:48

    Hallo,

    vielen Dank für Euer nettes Feedback :)
    Joschi hat geschrieben: Die Beißer sind fantastisch, der Winkel geradezu surreal.
    Ohh ja, darin werden sie von keiner anderen Ameise geschlagen. Stellt sich mir die Frage, warum die Schnappkiefer sich in einen solchen Winkel entwickelt haben. Wahrscheinlich ist es durch den großen Winkel möglich geworden, größere Mandibel zu haben, ohne dass diese bei engen Durchgängen zur Behinderung werden. Möglicherweise auch energetische Vorteile beim Zuschnappen?

    Interessant ist ja auch, dass diese Schnappkiefer ein kleines Erfolgsrezept bei den Ameisen sind, sie haben sich unabhängig von einander bei Ponerinen (z.B. Odontomachus), Myrmicinen (z.B. Strumigenys) und Formicinen (nur Myrmoteras) entwickelt.

    Grüße, Phil
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